Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich in einem Interview für eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von sieben auf fünf Prozent ausgesprochen. Ziel sei es, besonders Menschen mit geringem Einkommen zu entlasten. Doch angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der politischen Brisanz des Vorschlags stellt sich die Frage: Geht es wirklich um wirksame Unterstützung für Verbraucher – oder ist dies ein billiges Wahlkampfmanöver vor den anstehenden Neuwahlen?
Eine kurze Analyse und gesunder Menschenverstand zeigen schnell, dass die tatsächliche Wirkung (für Verbraucher) höchstens überschaubar bleibt und der Vorschlag deshalb – Achtung: Spoiler – schnell als billige Wahlkampftaktik entlarvt werden kann.
Was bedeutet der Vorschlag?
Die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel beträgt aktuell sieben Prozent. Scholz schlägt eine Reduzierung auf fünf Prozent vor, was bei einem typischen Einkauf einer beispielsweise vierköpfigen Familie kaum spürbare Einsparungen bringt.
Eine vierköpfige Familie gibt laut Statistischem Bundesamt im Durchschnitt 100 Euro brutto für Lebensmittel pro Woche aus, die mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 % besteuert werden. Diese 100 Euro sind bereits inklusive Mehrwertsteuer – wie viel davon „gespart“ würde, wenn die Steuer von 7 % auf 5 % sinkt und (!) der Handel dies Reduktion vollständig (!) an den Endverbraucher weitergibt, zeigt die folgende Berechnung:
- Der aktuelle Zustand (7 % Mehrwertsteuer):
- Der Nettopreis beträgt: 100 € ÷ 1,07 ≈ 93,46 €
- Die Mehrwertsteuer macht: 100 € – 93,46 € ≈ 6,54 € aus.
- Nach der Senkung (5 % Mehrwertsteuer):
- Der Nettopreis bleibt unverändert: 93,46 €
- Die neue Mehrwertsteuer beträgt: 93,46 € × 0,05 ≈ 4,67 €
- Der neue Bruttopreis liegt dann bei: 93,46 € + 4,67 € ≈ 98,13 €
Ersparnis pro Einkauf:
100 € – 98,13 € = 1,87 €
Rechnet man diese Einsparung auf ein Jahr hoch (52 Wochen), ergibt das:
1,87 € × 52 ≈ 97 Euro pro Jahr.
Der entspricht weniger als 0,3 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens in Deutschland – ein Betrag, der für sehr einkommensschwache Haushalte zwar sicher willkommen, aber keineswegs spürbar entlastend ist.
Zumal das große „Aber“ in dieser Rechnung noch nicht enthalten ist, da der Einzelhandel in dieser simplen Gleichung fehlt.
Zweifel an der Weitergabe durch den Handel
Eine zentrale Frage bei Mehrwertsteuersenkungen ist, ob der Handel die Steuerreduktion überhaupt an die Verbraucher weitergibt. Erfahrungen aus der Vergangenheit – etwa mit der temporären Mehrwertsteuer-Senkung 2020 – zeigen, dass dies bestenfalls nur teilweise geschieht.
Zusätzlich zur Wocheneinkaufsrechnung lohnt sich deshalb ein Blick auf die Preisgestaltung einzelner Produkte. Händler verwenden in der Regel runde Preise, die für den Kunden leicht zu erfassen sind (z. B. 1,99 € oder 2,49 €). Eine Mehrwertsteuer-Senkung von zwei Prozentpunkten führt jedoch zu so geringen Veränderungen, dass sie oft unterhalb der üblichen Rundungsschwellen liegt.
Zwei Beispielprodukte verdeutlichen dies:
Beispiel 1: Ein Brot für 2,49 € brutto (7 % Mehrwertsteuer)
- Aktueller Preis (7 % Mehrwertsteuer):
- Nettopreis: 2,49 € ÷ 1,07 ≈ 2,33 €
- Mehrwertsteuer: 2,49 € – 2,33 € ≈ 0,16 €
- Nach der Senkung auf 5 %:
- Nettopreis bleibt gleich: 2,33 €
- Neue Mehrwertsteuer: 2,33 € × 0,05 ≈ 0,12 €
- Neuer Bruttopreis: 2,33 € + 0,12 € ≈ 2,45 €
Unterschied:
2,49 € – 2,45 € = 4 Cent
Da Händler in der Regel Preise wie 2,49 € beibehalten, statt sie auf 2,45 € abzusenken, bleibt die Ersparnis hier oft beim Handel – oder sie wird in Form einer kleinen Margenverbesserung genutzt.
Beispiel 2: Ein Liter Milch für 1,19 € brutto (7 % Mehrwertsteuer)
- Aktueller Preis (7 % Mehrwertsteuer):
- Nettopreis: 1,19 € ÷ 1,07 ≈ 1,11 €
- Mehrwertsteuer: 1,19 € – 1,11 € ≈ 0,08 €
- Nach der Senkung auf 5 %:
- Nettopreis bleibt gleich: 1,11 €
- Neue Mehrwertsteuer: 1,11 € × 0,05 ≈ 0,06 €
- Neuer Bruttopreis: 1,11 € + 0,06 € ≈ 1,17 €
Unterschied:
1,19 € – 1,17 € = 2 Cent
Auch hier liegt die Änderung (2 Cent) unter der typischen Rundungsschwelle. Händler könnten den Preis unverändert bei 1,19 € belassen und den Unterschied als Margenpolster nutzen.
Fazit zur Produktebene
Die Beispiele zeigen, dass die durch eine Mehrwertsteuer-Senkung entstehenden Preisänderungen auf Einzelproduktebene oft im Bereich weniger Cent liegen. Da Händler ihre Preise meist in runden Beträgen angeben, ist es unwahrscheinlich, dass diese minimalen Differenzen an die Verbraucher weitergegeben werden. Stattdessen verbleibt die Steuerentlastung oft beim Handel – ein weiteres Argument gegen die Effektivität der Maßnahme.
Zudem stellt die technische Umsetzung oftmals eine Herausforderung dar: Kassensysteme und Preisetiketten müssten angepasst werden, was vor allem kleine Betriebe oder Unternehmen mit wenig flexiblen technischen Warenwirtschaftssystemen unverhältnismäßig belastet.
Symbolpolitik vor Neuwahlen
Die politische Dimension des Vorschlags ist nicht zu übersehen. Wenige Tage vor der geplanten Vertrauensfrage im Bundestag bringt Scholz eine Maßnahme ins Spiel, die Haushalte direkt anspricht. Dies weckt den Eindruck, dass die Steuerreduktion weniger auf ihre ökonomische Wirkung, sondern auf ihren symbolischen Wert abzielt. Die Kritik ist berechtigt: Eine Maßnahme, die den Bundeshaushalt Millionen kostet, sollte einen spürbaren Nutzen entfalten. Doch das ist hier kaum der Fall.
Zum Vergleich: Die von Markus Söder (CSU) im Jahr 2023 vorgeschlagene komplette Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel hätte zwar ebenfalls finanzielle Auswirkungen, könnte jedoch Haushalte mit geringem Einkommen signifikant entlasten. Scholz hatte damals argumentiert, es gebe effizientere Möglichkeiten – etwa Direktzahlungen oder gezielte Subventionen. Diese Argumentation verliert durch seinen aktuellen Vorstoß erneut an Glaubwürdigkeit.
Fazit: Fehlende Substanz und billiges Wahlkampfmanöver
Eine Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel mag für Verbraucher im ersten Schritt gut klingen, bleibt jedoch eine unzureichende Antwort auf die Herausforderungen, mit denen viele Haushalte und der Handel konfrontiert sind. Die Entlastung ist – wenn überhaupt – minimal, die Umsetzung womöglich schwierig, und die finanziellen Kosten stehen in keinem Verhältnis zum Nutzen.
Die Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von 7 % auf 5 % würde den Staat schätzungsweise 4-5 Milliarden Euro jährlich an Steuereinnahmen kosten. Dieser Betrag müsste durch Einsparungen an anderer Stelle oder zusätzliche Schulden kompensiert werden – für eine Maßnahme, deren Nutzen für Verbraucher höchstens marginal bleibt.
Statt Symbolpolitik wären gezielte Maßnahmen wie Direktzahlungen an einkommensschwache Haushalte oder die Förderung energieeffizienter Haushaltsgeräte sinnvoller. Zudem könnten – wenn man politisch in diesem Gebiet reformieren will – strukturelle Steuerreformen, etwa eine komplette Befreiung von Grundnahrungsmitteln von der Mehrwertsteuer, stärker wirken.
Fazit: Scholz‘ Vorschlag mag kurzfristig Aufmerksamkeit und sicher 1-2 Prozentpunkte in Umfragen bringen, wird jedoch weder der wirtschaftlich ernsten Lage noch den Bedürfnissen der Verbraucher gerecht.