Die Mindestlohnkommission, bestehend aus Vertretern von Arbeitgebern, Gewerkschaften und unabhängigen Wissenschaftlern, hat nach intensiven Verhandlungen einen Kompromiss erzielt, der von der Vorsitzenden Christiane Schönefeld als „tragfähig“ bezeichnet wurde. Ab 1. Januar 2026 wird der Mindestlohn auf 13,90 Euro steigen, gefolgt von einer weiteren Anhebung auf 14,60 Euro zum 1. Januar 2027. Diese Entscheidung berücksichtigt das 60-Prozent-Kriterium der EU-Mindestlohnrichtlinie, wonach der Mindestlohn mindestens 60 Prozent des Medianlohns erreichen soll – ein Ziel, das mit 14,60 Euro fast erreicht wird, aber die von der SPD geforderten 15 Euro verfehlt.
Die beschlossene Erhöhung des Mindestlohns bedeutet für Vollzeitbeschäftigte mit einer 40-Stunden-Woche ein Plus von etwa 190 Euro brutto monatlich ab 2026 und rund 310 Euro ab 2027, was einem jährlichen Zuwachs von etwa 3.700 Euro brutto entspricht. Die Entscheidung wurde einstimmig getroffen, obwohl Arbeitgebervertreter den starken politischen Druck kritisierten, der die Verhandlungen begleitete.
Gefahren für Arbeitsplätze und Wirtschaft
Die Erhöhung des Mindestlohns birgt erhebliche Risiken für den Arbeitsmarkt, insbesondere in Branchen mit geringen Margen. HDE-Präsident Alexander von Preen betonte, dass die Erhöhung auf 14,60 Euro „kaum tragbar“ sei und zahlreiche Arbeitsplätze gefährde. „Jobs müssen sich für Arbeitgeber rechnen, sonst fallen sie weg“, so von Preen. Ähnlich äußerte sich der BGA, der die Entscheidung als „extrem harten Kompromiss“ bezeichnete, der kleine und mittlere Unternehmen in einer ohnehin krisengeplagten Wirtschaft vor große Herausforderungen stelle. Insolvenzzahlen erreichen bereits Höchststände, und die zusätzlichen Lohnkosten könnten diese Entwicklung verschärfen.
Ein konkretes Beispiel ist die Logistikbranche, die stark mit dem Online-Handel verknüpft ist. Viele Logistikdienstleister und Subunternehmer beschäftigen Aushilfskräfte und Minijobber zu Löhnen nahe dem Mindestlohn. Eine Erhöhung auf 14,60 Euro könnte dazu führen, dass Unternehmen Arbeitsplätze abbauen oder auf Leiharbeiter setzen, um Kosten zu senken. Dies bestätigt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die zeigte, dass frühere Mindestlohnerhöhungen in Branchen wie der Gastronomie und dem Einzelhandel zu Verdrängungseffekten geführt haben, bei denen ungelernte Arbeitskräfte durch Automatisierung oder höher qualifizierte Beschäftigte ersetzt wurden.
Ein weiteres Problem ist der schrumpfende Lohnabstand zu Fachkräften. In der Logistik verdienen viele Fachkräfte, etwa mit einer Ausbildung zum Fachlageristen, nur geringfügig mehr als den aktuellen Mindestlohn. Steigt dieser auf 14,60 Euro, müssten auch die Löhne für qualifizierte Arbeitskräfte angepasst werden, um den Anreiz für eine Berufsausbildung aufrechtzuerhalten. Dies erhöht den Kostendruck auf Unternehmen zusätzlich, ohne dass die Produktivität im gleichen Maße steigt. Der Fachkräftemangel, der in Handel und Logistik bereits spürbar ist, könnte sich dadurch verschärfen, da qualifizierte Arbeitnehmer in besser bezahlte Branchen abwandern.
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Teuerungen als unvermeidbare Folge
Die Erhöhung des Mindestlohns wird zwangsläufig zu Preissteigerungen führen, da Unternehmen die gestiegenen Personalkosten an die Verbraucher weitergeben. Im Einzelhandel, wo Margen oft im einstelligen Prozentbereich liegen, ist dies besonders problematisch. Der HDE warnt, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Branche leidet, da höhere Preise Kunden in den Online-Handel oder ins Ausland treiben könnten.
Ein Beispiel ist die Gastronomie, wo bereits die Erhöhung auf 12 Euro im Jahr 2022 zu spürbaren Preisanstiegen geführt hat. Laut dem Statistischen Bundesamt stiegen die Preise in der Gastronomie zwischen 2021 und 2023 um etwa 15 Prozent, was teilweise auf höhere Lohnkosten zurückzuführen ist.
Die Befürworter der Erhöhung argumentieren, dass ein höherer Mindestlohn die Kaufkraft der Geringverdiener stärkt und damit die Wirtschaft ankurbelt. Doch diese Rechnung geht nur bedingt auf. Die gestiegenen Einkommen werden durch höhere Preise und Inflation teilweise wieder aufgefressen. Zudem profitieren vor allem die Staatskassen: Laut Schätzungen könnte die Lohnsteuer durch die Erhöhung um etwa 110 Euro pro Arbeitnehmer und Monat steigen, was bei zwei Millionen Mindestlohnarbeitern jährliche Mehreinnahmen von 2,6 Milliarden Euro für den Staat bedeutet. Dies zeigt, dass die Erhöhung primär fiskalische Interessen bedient, während die tatsächliche Kaufkraft der Geringverdiener nur marginal steigt.
Steuererleichterungen als bessere Alternative
Anstatt den Mindestlohn politisch aufzublähen, hätte eine gezielte Steuererleichterung für Geringverdiener nachhaltigere Effekte erzielt. Konkrete Maßnahmen wie die Anhebung des Grundfreibetrags oder die Einführung eines Geringverdienerfreibetrags könnten die Nettoeinkommen der Beschäftigten im Niedriglohnsektor spürbar erhöhen, ohne Unternehmen zusätzlich zu belasten. Der Grundfreibetrag liegt 2025 bei 11.604 Euro pro Jahr. Eine Erhöhung auf beispielsweise 13.000 Euro würde Geringverdienern monatlich etwa 100 Euro netto mehr einbringen, ohne die Lohnkosten für Arbeitgeber zu erhöhen. Ein weiteres Beispiel ist die Senkung der Lohnsteuer für niedrige Einkommen, etwa durch eine Reduzierung des Eingangssteuersatzes von derzeit 14 Prozent auf 10 Prozent für Einkommen bis 15.000 Euro.
Solche Maßnahmen würden die Kaufkraft direkt stärken, ohne die Tarifautonomie zu untergraben oder Arbeitsplätze zu gefährden. Zudem könnten sie die Wettbewerbsfähigkeit von Branchen wie dem Einzelhandel und der Logistik erhalten, da Unternehmen keine zusätzlichen Lohnkosten tragen müssten. Die geplanten Steuererleichterungen der Regierung, wie die Senkung der Stromsteuer oder die dauerhafte Mehrwertsteuerreduzierung in der Gastronomie, sind ein Schritt in die richtige Richtung, reichen jedoch nicht aus, um die Belastungen durch die Mindestlohnerhöhung zu kompensieren.
Politische Einflussnahme gefährdet Tarifautonomie
Die Entscheidung der Mindestlohnkommission zeigt erneut, wie stark politische Interessen die vermeintlich unabhägige Arbeit des Gremiums beeinflussen. Die SPD hatte im Wahlkampf einen Mindestlohn von 15 Euro als zentrales Versprechen etabliert, und der Koalitionsvertrag von Union und SPD bezeichnete dieses Ziel als „erreichbar“. Solche öffentlichen Vorgaben setzen die Kommission unter Druck und untergraben die Tarifautonomie, die in Deutschland traditionell durch die freie Lohnfindung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften geprägt ist. Der Präzedenzfall von 2022, als die Erhöhung auf 12 Euro per Regierungsbeschluss erfolgte, zeigt, wie schnell die Politik die Kommission zum „Feigenblatt“ degradieren kann.
Arbeitgebervertreter wie Steffen Kampeter kritisieren diesen „Lohnpopulismus“ zurecht als „ökonomisches Himmelfahrtskommando“. Die Tarifautonomie ist ein Grundpfeiler der deutschen Wirtschaft, und ihre Aushöhlung durch politische Eingriffe führt zu Planungsunsicherheit und einer Verdrängung tariflicher Strukturen. Dies bedroht langfristig die Flexibilität von Unternehmen, auf wirtschaftliche Herausforderungen zu reagieren.
Fazit: Ein populistischer Schritt mit unkalkulierbaren Risiken
Die Erhöhung des Mindestlohns auf 14,60 Euro bis 2027 mag auf den ersten Blick sozialpolitisch verlockend erscheinen, doch die Risiken überwiegen. Arbeitsplätze in krisenanfälligen Branchen wie Einzelhandel, Logistik und Gastronomie sind gefährdet, Preissteigerungen unvermeidbar, und der Staat profitiert durch höhere Steuereinnahmen, während die Kaufkraft der Geringverdiener nur bedingt steigt. Eine nachhaltigere Lösung wäre eine Kombination aus gezielten Steuererleichterungen wie einem höheren Grundfreibetrag oder einem reduzierten Lohnsteuersatz für Niedrigeinkommen gewesen. Solche Maßnahmen würden die Nettoeinkommen direkt stärken, ohne die Wirtschaft zu belasten oder die Tarifautonomie zu untergraben.
Die Mindestlohnkommission sollte zu ihrer ursprünglichen Rolle zurückkehren: unabhängige, realitätsnahe Lohnpolitik statt politisch motivierter Schnellschüsse. Nur so kann ein Gleichgewicht zwischen sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Stabilität gefunden werden. Andernfalls droht Deutschland ein gefährliches Experiment, das Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit kostet.