Die Diskussion um den Digitalen Euro hat in den letzten Jahren enorm an Fahrt aufgenommen. Dahinter steckt eine der größten geldpolitischen Weichenstellungen in Europa seit Einführung der Gemeinschaftswährung: die Schaffung einer staatlich garantierten, elektronischen Form von Zentralbankgeld für alle Bürgerinnen und Bürger. Während Bargeld und Bankeinlagen bisher die einzigen Möglichkeiten waren, Euro zu halten, könnte ein Digitaler Euro die Lücke zwischen klassischem Bargeld und digitalen Bezahlmethoden schließen. Doch was genau ist der Digitale Euro und wo steht das Mammutprojekt?
Von der Idee zur Vorbereitung
Die Europäische Zentralbank (EZB) begann im Jahr 2021 offiziell mit der Untersuchungsphase des Projekts. Ziel war es, die Machbarkeit, technischen Grundlagen und rechtlichen Fragen zu klären. Zwei Jahre später, im Herbst 2023, startete die Vorbereitungsphase, die zunächst auf zwei Jahre angelegt ist. In dieser Phase werden das Regelwerk entwickelt, Tests mit Banken und Zahlungsdienstleistern durchgeführt und Anbieter für Schlüsselkomponenten wie Wallets, Backend-Infrastruktur oder Sicherheit ausgewählt.
Eine endgültige Entscheidung, ob der Digitale Euro tatsächlich eingeführt wird, steht noch aus. Klar ist jedoch: Die EU-Institutionen drängen darauf, Europa unabhängiger von globalen Zahlungsgiganten zu machen. Ein möglicher Startzeitpunkt wird derzeit um das Jahr 2029 gehandelt – abhängig vom rechtlichen Rahmen, der vom Europäischen Parlament und dem Rat beschlossen werden muss.
Gewinnen in der Plattform-Ökonomie
Politische und ökonomische Hintergründe
Die Idee des Digitalen Euro ist nicht isoliert zu betrachten. Weltweit arbeiten Notenbanken an sogenannten Central Bank Digital Currencies (CBDCs). Die People’s Bank of China testet bereits seit Jahren erfolgreich den „e-CNY“, und auch Länder wie die Bahamas oder Nigeria haben eigene digitale Zentralbankwährungen eingeführt.
Europa steht zudem unter dem Druck, eigene digitale Infrastrukturen zu stärken: Visa, Mastercard und große US-Tech-Konzerne dominieren den Zahlungsverkehr. Der Digitale Euro wird daher nicht nur als technologisches Projekt, sondern auch als geopolitisches Signal verstanden – ein Schritt hin zu strategischer Souveränität. Auch deshalb wird in den europäischen Payment-Dienst Wero als PayPal-Konkurrent hohe Hoffnung gesetzt.
Wie soll der Digitale Euro funktionieren?
Technisch gesehen wäre der Digitale Euro kein „Krypto-Token“, sondern 1:1 an den klassischen Euro gebunden. Nutzerinnen und Nutzer würden ihr Guthaben in einer digitalen Geldbörse (Wallet) verwalten, die von Banken oder anderen lizenzierten Zahlungsdienstleistern bereitgestellt wird. Damit ließen sich Zahlungen im Online-Handel, im stationären Geschäft, zwischen Privatpersonen oder perspektivisch auch offline durchführen.
Die Rollenverteilung ist klar definiert:
- Die EZB sorgt für das Settlement und die grundlegende Infrastruktur.
- Intermediäre wie Banken oder Fintechs übernehmen den Kontakt zu Endkunden, also Kontoanbindung, Apps und Service.
Geplant ist außerdem eine Offline-Funktion, bei der kleinere Beträge auch ohne Internetverbindung direkt zwischen zwei Geräten übertragen werden können – vergleichbar mit Bargeld. Damit will die EZB die Alltagstauglichkeit erhöhen und für zusätzliche Sicherheit in Krisensituationen sorgen.
Datenschutz und Stabilität
Ein zentrales Thema ist die Privatsphäre. Während bei Online-Zahlungen ein hohes Maß an Datenschutz garantiert werden soll, ist für Offline-Zahlungen sogar ein anonymes Modell vorgesehen – zumindest innerhalb bestimmter Betragsgrenzen. Damit möchte die EZB dem Anspruch gerecht werden, dass der Digitale Euro Bargeld nicht ersetzt, sondern ergänzt.
Um Risiken für die Finanzstabilität zu vermeiden, soll es Höchstbeträge geben, die pro Person in Digitalem Euro gehalten werden dürfen. So soll verhindert werden, dass massenhaft Einlagen von Geschäftsbanken abgezogen werden. Zudem wird der Digitale Euro nicht verzinst sein, um ihn klar als Zahlungsmittel und nicht als Anlageform zu positionieren.
Aktuelle Tests und Ergebnisse
Erst im September 2025 präsentierte die EZB die Ergebnisse ihrer „Digital euro innovation platform“, an der fast 70 Marktteilnehmer beteiligt waren. Besonders vielversprechend waren dabei konditionale Zahlungen, also Zahlungen, die an bestimmte Regeln geknüpft sind – etwa automatische Abrechnungen bei Carsharing, Mietzahlungen oder sofortige Rückerstattungen.
Im kommenden Jahr soll die Plattform in eine zweite Testrunde gehen. Parallel werden Verträge mit Technologiepartnern vorbereitet, um im Falle einer politischen Entscheidung schnell in die nächste Phase übergehen zu können.
Ein Blick nach vorn
Der Digitale Euro ist mehr als nur ein weiteres Bezahlverfahren. Er steht potentiell für eine mögliche Neudefinition von Geld im digitalen Zeitalter – getragen von einer unabhängigen europäischen Institution, mit hohen Standards bei Datenschutz und Sicherheit.
Noch aber bleiben viele Fragen offen: Welche Rolle spielen Banken als Intermediäre? Wie attraktiv wird der Digitale Euro für Verbraucher im Vergleich zu bestehenden Lösungen? Und wie überzeugt man den Handel, ein neues Zahlungsmittel zu integrieren?
Eines ist sicher: Sollte der Digitale Euro tatsächlich eingeführt werden, wird er das Payment-Ökosystem in Europa nachhaltig verändern. Ob dies eher Chancen eröffnet oder neue Risiken mit sich bringt, bleibt abzuwarten – und wird zunehmend zur Kernfrage der kommenden Jahre.



