Nur eineinhalb Jahre nach der letzten Insolvenz muss Görtz, der traditionsreiche Hamburger Schuhhändler, erneut den Gang zum Amtsgericht antreten. Wie die Pressestelle des Amtsgerichts Hamburg gegenüber dem Schuhkurier bestätigt, wurde ein vorläufiges Insolvenzverfahren über das Vermögen der Görtz Retail GmbH eröffnet. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter wurde Gideon Böhm von der Kanzlei Münzel & Böhm ernannt.
Letzte Insolvenz in 2023: Übernahme durch Bolko Kissling
Auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Details bekannt sind, kommt die erneute Insolvenz durchaus überraschend, da der Hamburger Unternehmer Bolko Kissling erst im Sommer 2023 die Mehrheit an dem Unternehmen übernommen hatte, nachdem Görtz mit der Corona-Pandemie in eine schwere Krise stürzte. „Nach vollumfänglichen Sanierungsmaßnahmen ist es an der Zeit wieder an einer erfolgreichen Zukunft für das traditionsreiche Unternehmen zu arbeiten“, so Bolko Kissling damals.
Trotz der Rettung blieben offenbar die Herausforderungen bestehen. Insbesondere die neue Ausrichtung mit Ladenkonzepten wie „Görtz Lifestyle“ und einer Bekleidungslinie konnten die erhoffte Stabilität nicht bringen. Stattdessen sah sich das Unternehmen seit August mit Räumungsklagen von mehreren Vermietern konfrontiert, wie Fashionunited berichtet. Nach Angaben der Pressestelle des Unternehmens haben offenbar sechs Vermieter Klagen beim Landgericht Hamburg eingereicht.
Kissling versuchte, die Situation zu entschärfen, und erklärte, dass Görtz, das noch rund 45 Filialen in Deutschland betreibt, in Verhandlungen mit nahezu allen Vermietern stehe. Währenddessen wurde das Outlet in Wiesbaden geschlossen, gleichzeitig aber acht neue Filialen eröffnet. Die Expansion der Konzepte „Görtz Lifestyle“ und „Görtz Lounge“, die noch im Dezember 2024 geplant war, scheint nun allerdings infrage gestellt.
Keine echte Strategie erkennbar
Die Ludwig Görtz GmbH wurde 1875 in Hamburg gegründet und entwickelte sich über Jahrzehnte einst zu einem der führenden Schuhhändler Deutschlands. Gegründet von Ludwig Görtz, legte das Unternehmen seinen Fokus auf hochwertige Schuhe und exklusive Marken. In den 1980er- und 1990er-Jahren expandierte Görtz deutschlandweit und erreichte in Spitzenzeiten einen Jahresumsatz von über 300 Millionen Euro. Zu den Erfolgsfaktoren zählte das Unternehmen seine eleganten Ladenkonzepte sowie eine breite Produktpalette, die von Eigenmarken bis hin zu Premiummarken reichte.
Trotz der Tradition konnte Görtz den Herausforderungen des wachsenden Onlinehandels und sich verändernden Konsumverhaltens zuletzt immer schwerer standhalten. Die erneute Insolvenz wirft zweifelsohne Fragen zur Zukunft des Unternehmens auf. Der Markt für stationären Schuhhandel steht weiter unter Druck und online konnte Görtz, trotz anfänglicher Bemühungen in den 2010er Jahren, nie Traktion entwickeln. Der Online-Shop wurde infolgedessen nach der letzten Insolvenz eingestellt, sollte aber laut Berichten aus 2024 „bald wieder folgen“.
Ob Görtz inmitten dieser von Außen sehr wirr wirkenden Strategie eine zweite Sanierung überstehen kann, bleibt abzuwarten. Der Hamburger Schuhhändler steht – erneut – vor der Herausforderung, die Versäumnisse der Vergangenheit nachzuholen, sein Geschäftsmodell an die Gegebenheiten des Marktes anzupassen und gleichzeitig das Vertrauen der Vermieter und Kunden zurückzugewinnen.