Europa schöpft sein wirtschaftliches Potenzial nicht aus – ein wesentlicher Grund dafür ist die mangelnde soziale Mobilität. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung McKinsey & Company. Demnach hemmen ungleiche Aufstiegschancen insbesondere für Menschen aus bildungsfernen Schichten nicht nur individuelle Karrieren, sondern auch die wirtschaftliche Dynamik.
Weniger Chancen, längere Arbeitslosigkeit
Ein Drittel der Europäer sieht sich durch den eigenen sozioökonomischen Hintergrund erheblichen Nachteilen im Berufsleben ausgesetzt. Personen mit niedrigem sozioökonomischem Hintergrund (SEB) haben laut Studie eine um vier Prozentpunkte höhere Arbeitslosenquote und sind im Schnitt fünf Monate länger ohne Job. Zudem sind sie fast dreimal so häufig in gering qualifizierten Positionen tätig wie Personen mit ähnlichem Bildungsniveau, aber höherem SEB. Auch auf vergleichbaren Karrierewegen steigen sie langsamer auf.
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1,3 Billionen Euro Potenzial für die EU
Laut McKinsey-Analyse könnte die gezielte Förderung sozialer Mobilität das Bruttoinlandsprodukt der EU27 um neun Prozent steigern – das entspricht rund 1,3 Billionen Euro. Die Autoren definieren soziale Mobilität als die Möglichkeit, sich im Laufe des Lebens auf der sozioökonomischen Leiter nach oben zu bewegen. Dieses Potenzial bleibt bislang weitgehend ungenutzt.
„Die soziale Mobilität in Europa ist ins Stocken geraten“, sagt Marie Christine Padberg, Partnerin bei McKinsey und Co-Autorin der Studie. „Unternehmen können einen entscheidenden Beitrag leisten, indem sie gezielt Talente aus weniger privilegierten Verhältnissen fördern.“
Auswirkungen von KI und Automatisierung
Bis zum Jahr 2030 könnten durch Automatisierung und Künstliche Intelligenz zehn Millionen neue hochqualifizierte Jobs in Europa entstehen. Gleichzeitig drohen bis zu sechs Millionen gering qualifizierte Arbeitsplätze wegzufallen – ein Trend, der vor allem Arbeitnehmende mit niedrigem SEB treffen dürfte, die aktuell 63 Prozent dieser Stellen ausmachen.
Würden Beschäftigte mit niedrigem SEB in gleichem Maße wie ihre Kollegen mit hohem SEB in qualifizierte Jobs aufsteigen, könnten laut McKinsey europaweit 13 Millionen zusätzliche Fachkräfte zur Verfügung stehen.
Deutschland: Wenig Förderung, hohe Wechselbereitschaft
Im Vergleich zum Vereinigten Königreich mangelt es in Deutschland an strukturierten Förderprogrammen. Nur 24 Prozent der deutschen Arbeitnehmenden berichten, dass ihr Arbeitgeber gezielte Schulungen für Mitarbeitende aus bildungsfernen Schichten anbietet – deutlich weniger als in Großbritannien (37 Prozent).
Zudem haben Kinder von gering qualifizierten Beschäftigten hierzulande eine um 20 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, selbst in gering qualifizierten Jobs zu verbleiben.
Mehr als ein Drittel der deutschen Befragten mit niedrigem SEB gibt an, dass ihr Hintergrund negative Auswirkungen auf ihre beruflichen Erfahrungen hat. Die Hälfte von ihnen würde den Arbeitgeber wechseln, wenn dieser soziale Inklusion stärker fördern würde.
Sieben Handlungsfelder für Unternehmen
McKinsey nennt sieben zentrale Maßnahmen, mit denen Unternehmen soziale Mobilität gezielt fördern können:
- Bezahlte Praktika schaffen Zugang zu beruflichen Einstiegsmöglichkeiten für Personen, die sich unbezahlte Programme nicht leisten können.
- Datengestützte Rekrutierung mithilfe von KI-Tools identifiziert Potenziale jenseits traditioneller Lebensläufe.
- Inklusive Einstellungsverfahren setzen auf objektive Leistungsbewertung statt auf Herkunft oder Netzwerk.
- Mentoring-Programme bieten Orientierung, steigern Zufriedenheit und Führungsambitionen.
- Gezielte Qualifizierungsmaßnahmen schließen Lücken und schaffen Aufstiegschancen.
- Transparente Karrierepfade helfen, Entwicklungsmöglichkeiten nachvollziehbar zu machen.
- Sichtbarkeit und Kommunikation von Erfolgsgeschichten motiviert und zeigt konkrete Perspektiven auf.
Die Botschaft der Studie ist klar: Investitionen in soziale Mobilität sind nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit – sie zahlen sich auch volkswirtschaftlich aus.